Der Fall Josef Klatzka
und seine Merkwürdigkeiten

Die auffälligste Besonderheit des Falls Josef Klatzka (Fakten zum Fall) ist die Diskrepanz zwischen der Kaltschnäuzigkeit und Professionalität der Täter und der – soweit die Hintergründe bekannt sind – relativen „Bedeutungslosigkeit“ des Mordopfers wie auch der Summe des geraubten Vermögens. Einige mögliche Denkanstöße und relevant erscheinende Fragen im Überblick:

1. Der Vertrauensfaktor. Rund zwei Stunden hielt sich nach den Informationen aus Aktenzeichen XY der mutmaßliche (Mit-)Täter mit dem Alias „Heinz Schastock“ (vielleicht auch „Szastok“?) am Abend des 4. April 1970 in der Herforder Wohnung Klatzkas auf, wobei die Männer die Details der geplanten Reise miteinander besprochen haben sollen (zwei Stunden lang – und was sonst noch?). Eine sehr lange Zeit, die der ebenfalls anwesenden Frau Klatzka reichlich Gelegenheit gegeben haben muss, sich Aussehen, Gewohnheiten, Dialekt sowie weitere persönliche Merkmale des Verdächtigen einzuprägen – und diese später dann den polizeilichen Ermittlern berichten zu können. (Und auch am frühen Morgen des 6. April unmittelbar vor der Abreise saß die Dreierrunde so weit wir wissen erneut – diesmal frühstückend – am Tisch zusammen.) Welche Schlüsse können aus der langen Anwesenheit des angeblichen Staubsaugervertreters in der Wohnung in Herford gezogen werden – hat sich ein die Mordtat planender Schastock hier fahrlässig verhalten und unnötig Spuren bzw. Zeugen hinterlassen?

Möglicherweise nicht. Möglicherweise war gerade das bewusste Schaffen von Vertrauen und Glaubwürdigkeit – auch um den Preis des Risikos der Identifizierbarkeit – eine zentrale Voraussetzung für eine spätere erfolgreiche Tatbegehung – und damit ist nicht allein der Mord gemeint, sondern die Handlungen, die dem Mord möglicherweise (nach der morgendlichen Abfahrt) vorausgegangen sein könnten und in Beziehung zum eigentlichen Tatmotiv stehen. Das Opfer Josef Klatzka sollte offensichtlich als Beifahrer erst möglichst spät erkennen oder vermuten, dass nicht Bremen das Ziel der Reise ist, sondern ein anderer – uns unbekannter, aber wohl in der näheren Umgebung liegender – Ort; ebenso, dass die Absichten Schastocks entsprechend gänzlich andere als die geglaubten sind. An irgendeinem Zeitpunkt aber muss das Verhalten Schastocks (bzw. das Verhalten ins Spiel gekommener weiterer Tatbeteiligter) oder auch schlicht die vom vereinbarten Ziel Bremen abweichende Fahrtroute Klatzka verdächtig oder unplausibel vorgekommen sein. Und hier gilt: je mehr persönliches Vertrauen zwischen den Personen in einem solchen Fall besteht, desto später tritt nach aller Wahrscheinlichkeit dieser kritische Zeitpunkt der Bewusstwerdung ein. Doch in diesem Moment musste es für das Opfer bereits zu spät sein, so das anzunehmende Kalkül der Täter. Dieses Kalkül galt vermutlich in etwas ähnlicher Weise auch Frau Klatzka, der die planenden Täter durch einen gemütlichen Wohnzimmerplausch und die Teilnahme am Frühstück zwei Tage später psychologisch wenig Anlass geben wollten, darüber zu spekulieren, ob es sich bei der Mitreisemöglichkeit für den ehemaligen Bergmann im Volkswagen um etwas anderes als eine spontan erwiesene Gefälligkeit einer Zufallsbekanntschaft handeln könnte.

2. Der Briefeschreiber. Gegen Ende des XY-Beitrags erfahren wir von Eduard Zimmermann: „Bisher sind nur relativ wenig persönliche Kontakte des Rentners bekannt, da er lange Zeit völlig zurückgezogen gelebt hat.“ Ein Detail, das nicht recht in dieses Bild vom Eremiten passen will, ist die Tatsache, dass Frau Klatzka dem am 20. April plötzlich erneut auftauchenden Schastock mehrere zwischenzeitlich eingetroffene Briefe in die Hand drückt – mit der Bitte, diese an ihren in Cloppenburg gewähnten Mann zu übergeben. Wenn wir mal davon ausgehen, dass es sich bei dieser Post nicht um Werbung oder Rechnungen der Energieversorger o.ä. handelte (zumal die Wohnung möglicherweise auf den Namen Frau Klatzkas angemietet war, wie bestimmte Einzelheiten vermuten lassen – sie diese Post also vermutlich selber öffnen würde) – wieso erhält der „zurückgezogen“ lebende Schlesier innerhalb von nur zwei Wochen Abwesenheit gleich mehrere (vermutlich persönlich adressierte) Briefe? Nicht absurd erscheint vor diesem Hintergrund, dass auch Schastock keineswegs eine zufällige und spontane, sondern vielmehr eine Brief-Bekanntschaft gewesen sein könnte und die Männer ein Treffen im Bahnhof von Bielefeld postalisch oder ggf. telefonisch vereinbart hatten – aus welchen Beweggründen auch immer. Dann also hätte Klatzka den Anzugkauf als Anlass für den Ausflug nach Bielefeld gegenüber seiner Frau nur vorgeschoben.

3. Ortskundige Täter? Eine Leiche lässt sich nicht in einem Hotelzimmer zerstückeln oder zersägen und in Taschen verpacken – hier sind geeignete Räumlichkeiten erforderlich, über die frei und ungestört verfügt werden kann; ebenso gilt dies für die nötigen Gerätschaften. Kommen die Täter aus dem Raum Herford/Bielefeld und waren dort ansässig, vielleicht insbesondere in ländlicheren Teilen der Region? Dies lässt natürlich Theorien einer von langer Hand und aus der räumlichen Distanz geplanten Mordtat weniger plausibel erscheinen. Oder war eine hit squad in einem speziell hergerichteten Kleinlaster oder ähnlichen Gefährt im nördlichen Nordrhein-Westfalen unterwegs, sofern es sich wie in der ZDF-Sendung spekuliert wird wirklich um einen „bestellten“ Mord handeln sollte?

4. Neugierige Nachbarn. Was genau hat eigentlich die in XY erwähnte Nachbarin am frühen Morgen des 6. April auf der Straße bzw. dem Parkplatz vor dem Haus gesehen? Mehr als die gleichzeitig aus dem Fenster blickende Frau Klatzka? Die Beobachtungen der mit Josef Klatzka persönlich bekannten Frau sollen ja jedenfalls „für die Polizei später bedeutsam“ geworden sein, wie der Zuschauer aus der Sendung erfährt. Welche Szenen haben sich in Herford unmittelbar vor oder nach der Abfahrt auf der Straße abgespielt – und warum erfährt der Zuschauer keine Details?

-MR

 

9 Kommentare

  1. Sehr interessante Gedanken zum Fall Klatzka. Ich vermute mal stark dass Klatzka ein Doppelleben geführt und den Mörder (vermutlich) Schastock schon länger gekannt hat. Und das er den Mord aus perversen Motiven begangen hat. Auf der anderen Seite war es ja sehr gewagt von ihm, nochmal bei Frau Klatzka zu erscheinen. Ich denke, er hätte sie mit mehr Raffinesse durchaus bewegen können mit ihm mitzukommen. Oder hätte auch die Gelegenheit gehabt, sie schnell in ihrer Wohnung umzubringen. Das aber hat er nicht getan. Alles sehr widersprüchlich und deshalb so mysteriös!

  2. Hallo … ja, ich gehe auch stark davon aus, dass die Begegnung mit „Schastock“ keine zufällige Begegnung war; Frage ist, was die von Klatzka wollten? Nur die 1.000 Mark und sonst nichts? Die Lösung liegt vielleicht in der „dunklen“ (?) Vergangenheit von K. – das haben ja damals auch die Fahnder vermutet laut XY …

    -MR

  3. Hallo Martin Rautenberg!
    Das mit länger zurückliegenden Bekanntschaften, 2. Weltkrieg etc. hört sich zwar zunächst durchaus plausibel an. Wären aber nämlich dort die Motive zu suchen, dann wundert es mich, dass man a) Klatzkas Leiche nicht “auf nimmer wiedersehen“ diskret “für immer“ verschwinden liess, wäre kein Problem gewesen und sie stattdessen aufwendig zerteilte und b) Schastock nochmal bei Frau Klatzka aufgetaucht ist und auch sie offenkundig beseitigt werden sollte.

    Was könnte Frau Klatzka, die ihren zweiten Mann, Josef Klatzka, doch erst relativ spät, bestimmt längere Zeit nach Beendigung des 2. Weltkrieges geheiratet hat, mit Dingen zu tun gehabt haben, die, wie spekuliert wurde, ein Motiv zur Ermordung Josef Klatzkas dargestellt haben könnten und die, wie in XY spekuliert wurde, zeitlich weit zurückliegen könnten? Macht für mich nicht so wirklich Sinn.

    Deshalb bin ich eher geneigt zu glauben, dass Klatzka schlichtweg einem perversen Lustmörder zum Opfer gefallen ist, den er, davon bin ich überzeugt, schon längere Zeit gekannt haben könnte und der dann auch “Lust“ bekam, seine Frau auch noch umzubringen.

    Was mir auch merkwürdig auffällt ist, dass Klatzka vor Beginn dieser doch längeren Reise sich offenkundig vorher nicht erkundigt hat, ob der Max und auch sein Neffe aus Cloppenburg zu dem betreffenden Zeitpunkt überhaupt zu Hause gewesen wären. Ich denke, dass solche unangekündigten bzw. nicht mit den Betreffenden abgesprochenen Spontanbesuche in Anbetracht einer längeren Autofahrt auch in den frühen siebziger Jahren nicht üblich waren.
    Dies ist eine weitere Merkwürdigkeit die darauf hindeuten KÖNNTE das Klatzka sich in Wirklichkeit mit Schastock eine “schöne“ Zeit machen wollte, aber, ohne es zu ahnen, an einen perversen Lustmörder geraten ist. Ich meine, dass die Mordmethode bzw. das Zerstückeln der Leiche einfach nicht zu einem Mordmotiv passt, dass mit Dingen aus dem 2. Weltkrieg zu tun haben könnte. Da denke ich, hätte man Klatzka erschossen und möglichst unkompliziert entsorgt.
    Wie auch schon von Ihnen angedeutet, verlangt ja die Zerstückelung einer Leiche entsprechende Gerätschaften und auch einen passenden Ort; ist also mit einem hohen Aufwand verbunden. Warum dieser Aufwand, wenn’s auch wesentlich bequemer geht? Dies ist eine weitere Überlegung, die meiner Meinung nach für einen Lustmord spricht, der perversen Motiven entsprungen ist.

  4. Ich schaue auch gelegentlich alte XY-Sendungen und bemühe das Internet, um die heutige Sicht auf diesen Fall zu erfahren. Bei Josef Klatzka ist mir spontan die unreflektierte Rolle der Ehefrau aufgefallen. Wenn ich die XY-Episode als Aktenlage interpretiere (was ganz sicher falsch ist) stelle ich fest, dass fast der gesamte Film auf den Aussagen dieser Frau aufbaut. Ausnahmen sind hier nur die Aussage einer Nachbarin, die offensichtlich die (eine) Abfahrt Klatzkas in Begleitung beobachtet hat und der Besuch des Sohnes aus erster Ehe, der die emotionale Unsicherheit und Unentschlossenheit der Ehefrau beim Bekanntwerden des Kofferfundes erklären soll. Immerhin konnte die Kripo erst 5 Wochen nach dem Fund einen Bezug zum Umfeld herstellen. Man kann jetzt mit den Details beliebig umher-puzzlen (Mittäterschaft), aber wäre das Motiv Erbschaft so abwegig? Andererseits wird die Kripo diese Variante auch untersucht haben und zu Ergebnissen gekommen sein, so dass das im Film weggelassen wurde.

  5. Ich glaube dass im Falle eines bestellten Mordes aus Erbschaftsgründen der gesamte Ablauf anders von statten gegangen wäre. Interessant wäre aber trotzdem zu wissen was aus der Ehefrau geworden ist. Hab mal in einem Thread gelesen dass sie aus Angst vor dem Täter nach Schlesien/Polen ausgewandert wäre. Warum ausgerechnet dorthin? Das wäre vielleicht schon interessant zu untersuchen.
    Ich persönlich halte es nach wie vor für am wahrscheinlichsten dass Klatzka und der angebliche Staubsaugervertreter sich schon vorher kannten und dass der in Wirklichkeit ein perverser Lustmörder war. Wäre interessant zu erfahren ob in diesem Zeitraum der frühen Siebzigerjahre in Deutschland ähnlich gelagerte Fälle mit zerstückelten Leichen vorgekommen sind.

  6. Guten Tag, Ich bin die Großnichte von Lisbeth Klatzka, verwitwete Lißner, geborene Thater.
    Meine Großtante ist mitnichten ausgewandert, nachdem ihr Mann Josef ermordet wurde. Aus Erzählungen meiner Familie ist mir bekannt, dass Tante Lilly damit nicht fertig wurde. Sie nahm sich im Haus ihres Sohnes aus 1. Ehe ein paar Jahre später das Leben.
    Die Familie fand dermaleinst in Herford nach dem Krieg wieder zusammen und wohnte am Amselplatz in Herford.
    Grüße, I. Wa.

  7. Sehr geehrte Frau Lißner!
    Das ist sehr Interssant was Sie berichten und vor allem sehr tragisch.
    Ich hoffe ich bin mit meinen Spekulationen niemanden zu nahe getreten. Aber dieser Fall ist mir persönlich sehr „eingefahren“ und weil er so mysteriös ist macht man sich natürlich Gedanken wie es gelaufen sein könnte. Wobei es auch Fälle gibt die sich dann, wenn sie geklärt sind, ganz anders darstellen wie vermutet.
    Wie immer : alles Gute und danke dafür dass Sie diese Information geschrieben haben.

    P. S. : meine Großmutter mütterlicherseits ist übrigens in Herford geboren und aufgewachsen, daher habe ich zu dieser Stadt auch einen persönlichen Bezug!

  8. Zu I. WA:

    Das ist sehr interessant was Sie über Ihre Grosstante schreiben und leider auch sehr tragisch.
    Ich hoffe dass Ihnen hier niemand mit Spekulationen zu nahe getreten ist. Aber der Fall ist wirklich äußerst mysteriös, so dass man ihn aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann. Wissen Sie vielleicht ob Ihre Grosstante auch Vermutungen dazu hatte?
    Leider wird der Fall wohl nie mehr geklärt werden.

  9. Hallo ihr Lieben,
    Im Zuge des Auflösen des Hausrates meiner Mutter ( Nichte von Lisbeth) werde ich sicher noch Dinge in den Familienpapieren finden. Zu gegebener Zeit stelle ich gern weitere Infos hier ein.
    Und mir ist niemand zu Nahe getreten.

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