In einigen Punkten passt der Mord in Berlin an Zelimkhan Khangoshvili ja irgendwie zur Serie von GRU- und FSB-Auslandsaktivitäten der vergangenen Jahre (Stichwort: Sergei Skripal); nicht zuletzt in technischer Hinsicht gibt es aber einige vielleicht entscheidende Unterschiede. Hierzu ein paar Überlegungen, die vor allem mit dem Tatmittel, einer Pistole vom Typ Glock 26 zu tun haben.
1. Man könnte ja fast schon daran glauben, Vadim Krasikov alias Vadim Sokolov hätte das Attentat mit der offiziellen Dienstwaffe seiner zuständigen Spezialeinheit durchgeführt. Hierzu muss man wissen, dass der russische Staat in den Jahren 2008 bis 2012 für rund 478.000 Rubel (damals umgerechnet ca. 12.000 Euro) vermutlich etwa zwei Dutzend Exemplare der sogenannten Subcompact-Pistole Glock 26 beschafft hatte. Der Waffendeal zwischen dem Kreml und dem österreichischen Waffenhersteller wurde damals soweit bekannt über Kolchuga, den größten Einzel- und Großhändler des Landes für Kleinwaffen, abgewickelt. Und bei welchen Diensten sind die Waffen dann gelandet? Offensichtlich beim FSB, bekanntlich Nachfolgeorganisation des sowjetischen KGB, sowie beim FSO – so berichtete es jedenfalls das Magazin Известия im Jahr 2014 (Link).
Was die Sache spannend macht: Der FSB zählt neben dem Militärgeheimdienst GRU (Skripal-Attentäter) zu den Hauptverdächtigen im Fall Khangoshvili; dass beide Geheimdienste ihre Motive gehabt hätten, bestätigte auch das britische Rechercheteam Bellingcat in einem Online-Artikel bereits eine Woche nach der Tat: „both agencies, the FSB and the GRU, would have felt entitled to pursue such an extrajudicial killing“. Hier stellt sich natürlich als nächstes die Frage, ob die verwendete „Baby Glock“ in Deutschland bzw. im angrenzenden Ausland in der Vorbereitungsphase des Attentats auf dem Schwarzmarkt beschafft wurde – oder ob die Waffe vielleicht wirklich aus dem oben genannten Kontingent stammt und wie auch immer nach Berlin geschmuggelt wurde. Möglicherweise von russischen Botschaftsangehörigen oder anderen Personen mit Diplomatenpass, deren Gepäck auf Flughäfen usw. nicht gründlich durchsucht wird – oder die sogar eine offizielle Berechtigung zum Führen von Waffen haben?
2. Wie der SPIEGEL (Ausgabe 50/2019) und andere Medien berichten, war die Tatwaffe mit einem Schalldämpfer ausgestattet. Das ist definitiv kein unwichtiges Detail sondern spricht eher dafür, dass es sich bei der Glock um eine – ob nun geklaut oder nicht – Dienstwaffe handelt. Schalldämpfer sind zum Beispiel in Deutschland, Österreich oder der Schweiz typischerweise nur für Jagdscheininhaber auf Antrag erhältlich, werden also aufgrund rechtlicher Restriktionen überwiegend an staatliche Organe ausgeliefert; zweitens wird für das Anbringen des Schalldämpfers an einer Glock 26 im Normalfall ein spezieller Lauf mit Gewinde benötigt, und auch dieser dürfte auf nicht-offiziellem Wege schwer zu beschaffen sein. Übrigens werden weder Speziallauf noch Schalldämpfer für das Modell 26 auf der offiziellen Internetpräsenz des Herstellers GLOCK gelistet, nicht einmal unter den optionalen Extras und Bauteilen: https://eu.glock.com/en/products/pistols/g26-gen5. Wäre ggf. aufschlussreich, die Tatwaffe mal im Original sehen zu können.
3. Im Fall Skripal hatten die mutmaßlichen Verantwortlichen durch die Verwendung des nach Russland rückverfolgbaren Nervengifts Novichok absichtlich ihre „Handschrift“ hinterlassen – nach dem Motto: „Schaut her, unser langer Arm reicht bis nach Großbritannien – nur 100% beweisen kann uns das Attentat niemand.“ Stichwort: plausible deniability. Im Berliner Fall ist die Situation etwas anders, denn Krasikov hatte ja (vergeblich) versucht, Tatwaffe und anderes belastendes Material in der Spree zu versenken. Mal angenommen, Krasikov wäre erfolgreich vom Tatort entkommen und die Täterschaft wäre bis heute ungeklärt: Hätten Medien und Politik die Identität des Opfers (Tschetschenien-Kämpfer, Ukraine-Unterstützer usw.) alleine schon als eindeutigen Beleg gewertet, dass ein russisches Kommandounternehmen wieder mal in Europa aktiv geworden ist?
-MR